Stimmstörungen

Marco:

„…wenn ich spreche, ist das schon irgendwie anstrengend. 

Therapeutin:

„Und was sagen die anderen zu Deiner Stimme?“ 

Marco:

„Ja also, meine Freunde, die haben noch nie was gesagt. Nur andereschon mal so ‚Kettenraucher‘ und so. Und mein Opa sagt manchmal „Na, Sinatra.“ 

Viele Kinder leiden wie Marco an einer permanenten Heiserkeit. Sie berichten von Sprechanstrengung, haben Probleme, sich stimmlich durchzusetzen und werden oftmals wegen ihrer rauen Stimme aufgezogen. 

Oft fällt eine derartige Stimmstörung erst dann richtig auf, wenn die Kinder lediglich noch tonlos und gepresst flüstern und sich auf ihren Stimmlippen bereits die sogenannten Schreiknötchen gebildet haben. 

Daher sollten Kinder, die über mehr als 3 Monate hinweg eine permanente Heiserkeit zeigen, auf jeden Fall 

  •  einem Facharzt / einer Fachärztin für HNO-Heilkunde vorgestellt werden 
  •  eine stimmhygienische Beratung und gegebenenfalls 
  •  eine Stimmtherapie erhalten. 

1. Woran können Stimmstörungen bei Kindern erkannt werden?

Eine Stimmstörung liegt meist dann vor, wenn Kinder über einen längeren Zeitraum (mehr als drei Monate) andauernd heiser, rau oder gepresst sprechen. 

Beim Versuch, besonders leise, oder auch sehr laut zu werden, bricht die Stimme oftmals ganz ab. Es kann nur noch flüsternd fortgefahren werden. 

Viele Kinder berichten über Kratzen, Brennen oder Beengungsgefühle im Halsbereich. Durch häufiges Husten oder Räuspern versuchen sie, etwas dagegen zu unternehmen, strapazieren ihre Stimme aber so nur noch zusätzlich 

Beim Singen ist die Fähigkeit, die Stimme höher oder tiefer zu führen, eingeschränkt. Melodien können nicht mehr sicher nachgesungen werden. 

Wegen ihrer heiseren Stimme werden die Kinder oft schlecht verstanden und daher aufgefordert, lauter und deutlicher zu sprechen. Im Bemühen darum wenden sie meist noch mehr schädlicher Sprechanstrengung auf. 

Teilweise klingen ihre Äußerungen bedingt durch ihre Heiserkeit auch viel aggressiver als sie es selber beabsichtigen. Es kommt beim Gegenüber zu Missverständnissen und zu von den Kindern nicht erwarteten Reaktionen. 

Zwangsläufig erleben sie so Kommunikation als etwas Negatives, dem sie durch Schweigen auszuweichen versuchen. 

Viele Kinder empfinden die Kritik an ihrer Stimme (u.a. den Vergleich mit Kettenrauchern oder heiseren Film- und Gesangsgrößen) als Ablehnung ihrer Person. Sie fühlen sich gekränkt und verunsichert. Als Folge ziehen sie sich ängstlich zurück oder machen sich durch Aggressivität Luft.

2. Wie funktioniert die gesunde Stimme

Im Kehlkopf befindet sich horizontal die beiden Stimmlippen. Sie dienen zum Verschließen der Luftröhre.

Beim Atmen öffnen sie sich möglichst weit, so dass viel Luft in die Lungen gelangen kann.

Zur Stimmbildung schließen sie sich locker, aber ohne Zwischenräume. Wenn die Luft aus der Lunge von unten gegen sie gedrückt wird, schwingen sie gleichmäßig im Luftstrom. Die entstehenden Luftschwingungen hören wir als menschliche Stimme.

3. Was verändert den Kehlkopf bei Stimmstörungen?

Bei Stimmstörungen arbeiten die Muskeln, die für die Bewegungen der Stimmlippen verantwortlich sind, in der Regel viel zu verkrampft. Die Stimmlippen werden gegeneinander gedrückt und können nicht mehr gleichmäßig schwingen. Die Stimme klingt rau und gepresst. Die Muskeltätigkeit kann so übermäßig sein, dass die Stimmlippen beim Schließen im hinteren Teil wieder auseinandergerissen werden und ein dreieckiger Spalt offenbleibt, durch den Luft austritt. Es entsteht ein hauchiger, flüsternder Stimmklang. 

Teilweise schlagen die Stimmlippen beim Schließen so stark zusammen, dass sie sich röten und stark verdicken. Später bilden sich auf ihnen sogenannte Knötchen, die einen regulären Stimmbandschluss noch zusätzlich verhindern. 

Unbewusst versuchen die Kinder dann, den muskulären Kraftaufwand weiter zu verstärken, um die Stimmlippen doch noch zusammenzubringen. Ein Teufelskreis zunehmender Verspannung entsteht. 

Andererseits können die Kehlkopfmuskeln auch übermäßig erschlaffen. Es entsteht meist ein ovaler Spalt zwischen den Stimmlippen. Auch hier ist verstärkter Kraftaufwand nötig, um die Stimmqualität zu verbessern, was dann jedoch wiederum zu einer völligen Ermüdung der Muskulatur führt.

4. Was sind die Uhrsachen von Stimmstörungen bei Kindern?

Sehr häufig entsteht eine Stimmstörung bei Kindern als Spätfolge einer schweren Infektion der Atemwege, besonders einer Kehlkopfentzündung mit begleitender Heiserkeit. Oft ist es für die Kinder sehr schwer, die in diesem Fall dringend nötige Stimmschonung einzuhalten. 

Im Gegenteil versuchen sie, die Heiserkeit durch einen erhöhten stimmlichen Kraftaufwand oder durch schädliches lautes Flüstern auszugleichen. Sie gewöhnen sich so die übermäßige Betätigung der Kehlkopfmuskulatur an und legen sie auch nach der Genesung nicht wieder ab. 

Auch falsches Atmen kann die Entstehung von Stimmstörungen begünstigen. Viele der chronisch heiseren Kinder neigen beim Sprechen zur sogenannten Hochatmung. Beim Luft holen werden die Schultern stark hochgezogen, was u.a. zu einer Verspannung der Hals- und Kehlkopfmuskulatur führt. 

Zu ähnlichen Verspannungssituationen können verschiedenste Formen angespannter oder aus dem Gleichgewicht geratener Körperhaltung führen. 

Eine weitere sehr häufige Ursache für die Entstehung von Stimmstörungen ist bei vielen Kindern ein ständig zu lauter Einsatz ihrer Stimme. Sie gewöhnen sich an ein übermäßig lautes, angespanntes Sprechen, um beispielsweise den hohen Geräuschpegel in Kindergarten und Schule zu übertönen. Damit überlasten sie ihre Kehlkopfmuskulatur. Besonders bei Gruppenspielen und beim Sport fallen sie durch überlautes, angestrengtes Schreien auf. 

Oft setzt sich dieses Verhalten in der Familie fort. Auch hier kann die Ursache darin liegen, dass das Kind sich nur durch gehobene Lautstärke gegen den generell zu lauten Unterhaltungston der Familienmitglieder durchsetzen kann. Zusätzlich kann eine ständige Lärmeinwirkung durch Musik und Fernseher zum veränderten Stimmverhalten beitragen. 

Bei einigen Kindern ist der übermäßige Stimmgebrauch ein deutlicher Ausdruck von tief in ihnen angestauten Aggressions- oder auch Angst- bzw. Minderwertigkeitsgefühlen. Die Ursachen dafür sind von Kind zu Kind unterschiedlich. Sie liegen häufig im familiären oder im schulischen Bereich. Als Reaktion darauf schreien sie sozusagen ihre Sorgen aus sich heraus. 

Andere Kinder gewöhnen sich einen schädlichen Umgang mit der eigenen Stimme an, weil sie versuchen, entsprechende raue Stimmen nachzuahmen. Schon im frühen Kleinkindalter kommt es zu Angleichungen an Stimmvorbilder aus dem Kreis der engsten Bezugspersonen. Später steht meist das Nachahmen von heiseren Stimmen aus der Musik- und Filmszene im Vordergrund. Teilweise sind Kinder aber auch ohne erkennbaren Grund schon seit ihrer frühesten Kindheit heiser. Es wird vermutet, dass sich bei ihnen die Abstimmung der verschiedenen an der Stimmgebung beteiligten Muskeln nicht richtig entwickelt hat. 

Über diese häufigsten Ursachen hinaus gibt es noch eine Vielzahl von Erkrankungen im Bereich des Kehlkopfes, die eine Stimmstörung nach sich ziehen können wie z.B. Stimmlippenpolypen, Kehlkopfpapillome (krankhafte Wucherungen auf den Stimmlippen) und Kehlkopfasymmetrien (Schiefstellungen des Kehlkopfgerüstes) 

Insgesamt ist davon auszugehen, dass wohl kaum allein eine einzige Ursache, sondern eher eine ganz spezielle Kombination von Gründen für die Entstehung einer Stimmstörung verantwortlich ist.

5. Therapie von Stimmstörungen bei Kindern

In der Regel verordnet der HNO-Arzt / die HNO-Ärztin ein Rezept für eine Stimmtherapie bei Kindern. Sie findet in regelmäßigen Abständen als Einzelbehandlung statt. Neue stimmliche Verhaltensweisen werden schrittweise erarbeitet und später in der alltäglichen Kommunikation gefestigt. 

Für den Therapieverlauf ist es wichtig, dass die Eltern in Beratungsgesprächen sowie durch Begleitung der Übungen in die Behandlung mit einbezogen sind. Auch der Kindergarten, die Schule sowie andere Institutionen sollten die Therapie mittragen. 

Kinder mit einer Stimmstörung sind oft körperlich angespannt, schwer zur Ruhe zu bringen und können sich nicht gut konzentrieren. In spielerischer Weise werden deshalb zunächst allgemeine Entspannungsübungen durchgeführt. Durch die Regulation von Bewegung und Haltung sowie die Schulung der Körperwahrnehmung soll eine ausgeglichene Körperspannung aufgebaut werden 

Übungen für die Schulter-, Hals- und Artikulationsmuskulatur werden danach besonders wichtig, weil sich Überspannungen in diesem Bereich negativ auf die Kehlkopfmuskulatur auswirken. Eigenschaften wie locker, weich, fest, hart, angestrengt, schlaff, kraftlos werden dem Kind bewusst gemacht und in der Therapie immer wieder angesprochen. 

Weiterhin wird dem Kind erklärt, wie die Atmung und die Stimmgebung beim Menschen funktionieren. Es lernt durch altersangepasste Veranschaulichungen und Selbsterfahrung die Fragen zu beantworten: 

Wo wird der Ton gemacht?

Wo klingt der Ton im Körper? 

Womit kann der Ton klingen? 

Wie kommt es zu einer Stimmstörung? 

Anschließend soll durch die Förderung der richtigen Bauchatmung das Hochziehen der Schultern bei der Einatmung abgebaut werden, um die Halsmuskulatur während des Sprechens zu entlasten. 

Während der eigentlichen Stimmübungsphase sollen vorangestellte Hörübungen zur Unterscheidung von Geräuschen, Tönen und Stimmen die Kinder zunächst dazu befähigen, ihren eigenen Stimmklang beurteilen zu können. 

Danach lernt das Kind in verschiedensten Stimmübungen, einzelne Laute und Silben mit angemessener muskulärer Spannung klangvoll zu bilden und sich an den veränderten Stimmklang zu gewöhnen.

Die Kinder trainieren, die Stimme höher oder tiefer zu führen sowie mühelos lauter oder leiser zu werden.

Später werden einzelne Wörter und dann auch ganze Sätze mit der veränderten Stimme gesprochen. In der letzten Phase der Therapie lernen die Kinder schrittweise, ihre neue Sprechweise im Alltag einzusetzen.

Insgesamt hängt der Therapieerfolg stark von der Eigenmotivation des Kindes ab. Für eine dauerhafte Stimmumstellung ist dabei die verständnisvolle Unterstützung aus der Umgebung für das Kind von großer Bedeutung.

6. Tipps zur Vorbeugung und Unterstützung

Zur Vermeidung bzw. Überwindung einer Stimmstörung müssen sich die Kinder einen schonenden Umgang mit der eigenen Stimme angewöhnen. Dies fällt ihnen wesentlich leichter, wenn sie sich dabei auf Verständnis und Unterstützung aus ihrer Umgebung verlassen

können.

Es hilft den Kindern, wenn: 

  • bei Erkältung darauf geachtet wird, dass sie wenig und leise sprechen, aber auf keinen Fall flüstern.
  • mit ihnen in ruhigem Ton und in mittlerer Lautstärke gesprochen wird.
  • Erwachsene bei Fragen und Aufforderungen so nah zu ihnen hingehen, dass sie auch in mittlerer Lautstärke antworten können.
  • auf Dauerlärm und ständige Berieselung durch Musik oder Fernsehen verzichtet wird.
  • sie sich im Kindergarten / in der Schule und in der Familie darauf verlassen können, dass jeder gleichermaßen zu Wort kommt.
  • wenn in der Familie Streitigkeiten und Probleme in ruhigem Ton geregelt werden.
  • wenn vorrangig auf den Inhalt ihrer Äußerungen reagiert wird, und nicht auf die heisere Stimme. (z. B. Vermeiden von: „Sprich klar und deutlich“)
  • sie immer dann gelobt werden, wenn sie ruhig, in mittlerer Lautstärke oder ohne Räuspern sprechen. 

Die größte Hilfe für Kinder ist es, wenn Erwachsene sie in ihren besonderen Stärken und Fähigkeiten bestätigen und sie spüren lassen, dass sie sie wirklich schätzen. Dann können sie genügend Selbstvertrauen aufbauen, um auch mit eignen Problemen fertig zu werden. 

Quelle: dgs – Deutsche Gesellschaft für Sprachheilpädagogik e.V.